Mit „Kent’s Mainline in miniature“ durch die Romney Marsh

Salzige Luft, flaches Land, grüne Wiesen, Schafweiden und vom Wind unberührte Entwässerungskanäle. Das ist die Romney Marsh und seit 1927 die Heimat der Romney, Hythe and Dymchurch Railway (RH&DR). Diese 15 Zoll Bahn, welche den Charakter einer großen Eisenbahn vollends erfüllt, stand mir Modell für ein Modellbauprojekt.

Über die Strecke der RH&DR

Die RH&DR verfügt für eine 15 Zoll Bahn über eine außergewöhnliche lange Strecke von etwa 23 km. Von dieser Strecke, welche von Hythe nach Dungeness führt, ist etwa die Hälfte zweigleisig ausgebaut. Die Strecke Richtung Hythe wird dabei, wie in England üblich, als Upline, die entgegengesetzte Strecke als Downline bezeichnet. New Romney, der Betriebsmittelpunkt, befindet sich an der Übergangsstelle zum eingleisigen Abschnitte Richtung Dungeness. In Romney Sands befindet sich eine Ausweichstelle, um eine engere Zugtaktung zu ermöglichen. Auf dem zweigleisigen Abschnitt gibt es außerdem Haltestellen in St. Mary’s Bay und Dymchurch. Die Strecke wurde von Anfang an für hohe Geschwindigkeiten von 40 km/h gebaut, verläuft sehr gerade oder weist Kurven mit großen Radien auf. Durch die flache Landschaft gibt es nur wenige Kunstbauten oder Steigungen. Also nicht gerade das interessanteste Vorbild für den Anlagenbau, aber halt original RH&DR.

Da ich die Lokomotiven und Wagen maßstabsgetreu nachgebaut habe, wollte ich auch einen Teil der Strecke maßstabsgetreu nachbauen. Die Bahnhöfe schloss ich  wegen ihrer Größe direkt aus. Außerdem wollte ich die Züge fahren sehen, denn das ist es, was die RH&DR in ihrer Größe einzigartig macht. Ein Modellzug mit 10 Wagen hat eine stolze Länge von knapp 2 Metern bei 9 mm Spurweite, weshalb ich die Anlage mit einer Länge von vier Metern plante, so dass ein vorbeifahrender Zug in voller Länge eine Zeit lang betrachtet werden kann. Den eingleisigen Abschnitt schloss ich aus, da hier nur wenig Betrieb möglich gewesen wäre. Auf dem zweigleisigen Abschnitt gibt es eine Stelle zwischen Hythe und Dymchurch, an der ein Bahnübergang und eine Brücke über einen Entwässerungskanal kurz nacheinander folgen. Dazwischen ist außerdem eine leichte Kurve im Gleis, was die Anlage optisch etwas auflockert. Dieser Streckenabschnitt eignet sich sehr gut, da auf den vier Metern Modellanlage sowohl die Brücke als auch der Bahnübergang maßstabsgetreu abgebildet werden kann.

Grundsätzlich sollte die Modellbahnanlage keine Spielanlage werden, sondern eher die RH&DR authentisch wiederspiegeln und deren Fahrzeuge gut in Szene setzen. Daher entschloss ich zwei getrennte Strecken zu bauen. Jeweils die Up- und die Downline mit einer Ausweichstelle hinter der Anlage, so dass vier Züge im Wechsel die Romney Marsh im Kleinen beleben können. Die Anlage sollte außerdem so gebaut sein, dass sie leicht zu transportieren und schnell aufzubauen ist. Aus diesem Grund entschied ich mich für eine Modulgröße von 100 x 50 Zentimeter. Die Landschaft nimmt aber nur 45 Zentimeter der Modultiefe ein, die restlichen fünf Zentimeter sind für den eingeklappten Schattenbahnhof und den Hintergrund reserviert.

Modul- und Gleisbau

Die Modulkästen bestehen aus 8 Millimeter starkem Birkensperrholz und sind alle identisch aufgebaut. Zur Verbindung dienen drei M6-Schrauben, welche die Modulkästen zusammenhalten. Anfangs hatte ich  vorgesehen, steckbare Beine aus Aluminium zu montieren. Im Nachhinein stellte es sich als funktionaler heraus, die Transportkisten der Module zu nutzen, um die Anlage auf Augenhöhe aufständern zu können. So wird kein zusätzliches Material benötigt und die Kisten sind von sich aus sehr solide.

Nun musste eine schwierige Frage beantwortet werden: Welches Gleis nutzt man für eine Modellbahn, welche eine 15 Zoll Bahn im Maßstab 1:42 darstellt? N-Gleise passen optisch wegen der kleinen Schwellen nicht, aber auch H0e Gleise weisen viel zu kleine Schwellen für diesen Maßstab auf. Ich entschloss mich daher, das Gleis zumindest auf dem Modellteil der Anlage selbst zu bauen. Im Schattenbereich der Anlage kommt N- bzw. H0e-Gleis zum Einsatz. Als Schienenprofil ist das Code 83 von Tillig verbaut. Die Schwellen sägte ich aus 5x4 Millimeter großen Holzleisten. Insgesamt habe ich rund 570 Holzschwellen gesägt. Um diese ordentlich auf der Anlage platzieren zu können, habe ich zuerst den Streckenverlauf aus Google Earth auf die bereits montierten Module übertragen. Zusätzlich habe ich mir eine Schablone gedruckt, die es recht einfach machte, die Schwellen in regelmäßigem Abstand und in gerader Linie auf den Korkuntergrund aufzukleben. Im Nachhinein habe ich alle Schwellen mit Farbe entsprechend gefärbt. Ursprünglich hatte ich vor, die Schienen auf die Schwellen zu kleben. Dies gefiel mir jedoch optisch nicht, weshalb ich mich entschied, die Schienen wie beim Original mit den Schwellen zu vernageln. Als Schienennägel nutzte ich die abgeknipsten Enden von Büroklammern. Gezählt habe ich sie nicht, aber bei rund 570 Schwellen waren das am Ende etwa 2280 kleine Schienennägel. Wie man sich vorstellen kann, zogen sich diese Arbeiten hin, aber am Ende sah das Gleis genau so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Bereiche im Schattenbahnhof dagegen waren schnell gemacht, hier habe ich Weichen von Peco mit Weichenantrieben von Conrad verbaut.

Die Schattenbahnhöfe wurden so aufgebaut, dass diese zum Transport hochgeklappt werden können. Beim Aufbau werden 3D gedruckte Halter in Schwalbenschwanzführungen geschoben, um den heruntergeklappten Bereich zu stützen.

Elektrik

Bevor ich mit dem eigentlichen Modellbau begann, wollte ich die Elektrik der Anlage fertigstellen. Wegen des verwendeten Rollmaterials habe ich eine analoge Steuerung umgesetzt. Hierbei entwickelte ich mir aus kaufbaren Modulen eine Schaltung, welche die Züge auf einer Strecke automatisch im Wechsel auf die Reise schickt. Die Zeit zwischen ankommendem und abfahrendem Zug kann dabei zwischen 0 und 60 Sekunden frei eingestellt werden. Die Weichen stellen sich ebenfalls automatisch und die Gleise werden durch die verbauten Weichenantriebe freigeschalten. Durch diese Steuerung ist es möglich, für jeden Zug einen eigenen Trafo zu verwenden, was erlaubt, die Geschwindigkeit auf den jeweiligen Zug anzupassen. Die ganze Steuerung basiert auf kleinen Reed-Kontakten, welche durch Magnete an den Lokomotiven ausgelöst werden. Diese schalten wiederum Relais, welche die Weichen stellen und die Gleise mit Spannung versorgen.

Bei der Verkabelung legte ich hohen Wert auf Ordentlichkeit, was es im Nachhinein sehr einfach machte, Fehler schnell zu finden und zu beheben. Außerdem wurden alle Modulübergänge steckbar ausgeführt, so dass die Anlage beim Aufbau in wenigen Minuten elektrisch miteinander verbunden werden kann.

Boltolph’s Bridge Crossing

Endlich konnte es mit dem eigentlichen Modellbau losgehen. Aus meiner Zeit bei der RH&DR hatte ich noch zahlreiche Bilder der Bahnanlagen, welche ich nun für den maßstabsgetreuen Nachbau nutzen konnte. Aber auch hier war die „Messen“ Funktion in Google Earth Gold wert. Maße, wie die Breite der Straße oder die Position der Schrankenanlagen ließen sich so leicht ermitteln und herunterrechnen. Die Arbeit an diesem Modul begann ich mit dem Bau des Bahnübergangs und der Straße. Hierbei kam Gips zum Einsatz. Um den Bahnübergang möglichst authentisch nachbauen zu können, baute ich in das Gleis zusätzliche Schienen ein, um das Rillengleis nachzubilden. Anschließend wurde der Gips aufgetragen und im halbgetrockneten Zustand geformt. Kleine Beschädigungen wie Risse und Betonabplatzungen konnten im getrockneten Zustand gut mit einer dicken Nadel eingebracht werden. Nachdem der Betonteil direkt an den Gleisen fertig war, ging es mit der Straße weiter. Auch hier wurde Gips verbaut und mit den vor Ort fotografierten Beschädigungen versehen. In diesem Schritt habe ich auch gleich alle Fundamente für die Schrankenanlage auf dem Modul erstellt. Im Anschluss habe ich die gegipsten Flächen mit der Airbrush grundiert, die Straßenmarkierungen aufgebracht und im letzten Schritt mit dunkleren Farben gealtert.

Die Schrankenanlage besteht nicht nur aus den Schranken an sich, sondern auch noch aus drei großen Schaltschränken. Außerdem gibt es noch einen kleineren Schaltschrank für das 2013 an der Strecke entlang verlegte Glasfaserkabel. Diese Schränke habe ich im CAD konstruiert, die Komponenten ausgedruckt, zusammengebaut und entsprechend lackiert. Auch sie wurden vor dem Einbau entsprechend gealtert. Die „wig wag“s, also die Bahnübergangsleuchten entstanden ebenfalls mittels 3D-Druck. Bei der Montage habe ich hier jeweils drei LEDs verbaut, um die Leuchten mit einem Blinkermodul ansteuern zu können. Auch die Schilder an den Pfosten habe ich anhand von Bildern nachgebildet.

Vegetation

Nachdem alle Bauteile fertig waren, konnte es mit dem Landschaftsbau losgehen. Für den Schotter mischte ich mir verschiedene Schotterfarben zusammen und besandete das Gleisbett beim Kleben zusätzlich mit Sand und schwarzen Dreckpartikeln, um das alte, nicht mehr ganz reine Schotterbett zu imitieren. Den gleichen Sand nutzte ich auch, um die Grundschicht der Landschaft zu erstellen. Für die nur kleinen Höhenänderungen in der Romney Marsh kam Styrodur zum Einsatz. Für die Vegetation verwendete ich verschiedene Farben und Körnungen von Fine Turf, sowie verschiedenes Grasfasermaterial, welches ich mit einem Elektrostaten aufgebracht habe. Entlang der Strecke der RH&DR gibt es kilometerlange Zäune, um die Schafe entlang der Strecke vom Gleis fern zu halten. Hierfür wurden vor vielen Jahren alte Schienenprofile in den Boden geschlagen. Dies wollte ich natürlich auch umsetzen. Nach langer Suche in vielen Bastelläden fand ich jedoch kein zufriedenstellendes Material, um den Zaun schön nachbauen zu können. Ich startete daher einen Versuch mit meinem 3D-Drucker. Mit einer 0,2 Millimeter Düse schaffte ich es, sehr dünne Zaunelemente auszudrucken, welche meinen Ansprüchen genügten. Diese habe ich dann in großer Zahl gedruckt, lackiert und an den eingebauten Zaunpfosten befestigt. Insgesamt habe ich so etwa drei Meter Zaun hergestellt. Im letzten Zug habe ich Büsche und Sträucher auf der Anlage angesiedelt, dabei nutze ich Material von Silhouette sowie gedruckte Baumstrukturen mit aufgeklebter Begrünung.

Brücke über den „New Cut Sewer“

Etwa eineinhalb Meter nach dem Bahnübergang folgt die Brücke über einen der zahlreichen Entwässerungskanäle der Romney Marsh. Auch hier war 100% Eigenbau angesagt. Die Arbeiten der Brücke begann ich wieder im CAD. Hier erstellte ich die Daten für die vier Brückenträger sowie die Auflageflächen der Brücke am Modul. Diesen habe ich auf meinem Drucker ausgedruckt und entsprechend lackiert und gealtert. Die großen langen Schwellen mit Längsverbinden auf der Brücke baute ich wiederum aus echtem Holz. Um die Verbindungen zwischen den Teilen darzustellen, druckte ich kleine Plättchen mit Schraubenköpfen, welche der Brücke ein schönes Finish verleihen. Durch die gedruckten Auflagestellen am Modul konnte die Brücke leicht eingepasst werden. Schwieriger hingegen war der Bau der maßstabsgetreuen Brückenfundamente.

Die unterste Basis der Brücke bildet ein großes Fundament, welche durch eine Spundwand erstellt wurde. Um diese Form in Gips nachbauen zu können, druckte ich mir eine Gussform mit dem 3D-Drucker aus und formte diese direkt auf dem Modul mit Gips ab. Auf diesem Fundament habe ich dann mit Styrodur die Uferböschung sowie die weiteren Fundamente aufgebaut. Die Bereiche des Fundaments habe ich zusätzlich mit einer dünnen Schicht Gips überzogen, um so die Optik von Beton zu erhalten. An der Stelle der Brücke gab es zuvor schon einmal eine Brücke der Bahn. Die alten Fundamente sind teilweise noch erhalten und mussten natürlich auch nachgebaut werden. So entstanden zusätzliche kleine Reste von Backsteinfundamenten an den beiden Brückenköpfen. Nachdem alle Fundamente nachgebildet waren, ging es an die farbliche Gestaltung. Hierbei arbeitete ich mit stark verdünnten Abtönfarben, welche ich Schicht für Schicht auf den Gips auftrug. So entstand nach vielen Schichten ein schönes Bild von altem verwittertem Beton mit Resten von roten Backsteinfundamenten. Nach der Kolorierung habe ich auch hier eine Grundschicht aus Sand aufgetragen. Im Bereich des Kanals habe ich den Sand stellenweise etwas dunkler gefärbt, um eine größere Tiefenwirkung nach dem Einbringen des Modellwassers zu erreichen. Als Modellwasser entschied ich mich für das „Murky Water“ von Woodland Scenics. Es hat eine leicht bräunliche Trübung und entspricht recht gut dem Wasser der meist schlammigen Entwässerungskanäle. Das Wasser ließ ich absichtlich glatt, da der Wind meist über die Vertiefungen hinweg weht und das Wasser so als dunklen, glatten Spiegel hinterlässt. Diese Wirkung kam im Modell besonders schön zur Geltung.

Landwirtschaftlicher Bahnübergang

Auf dem letzten Modul, direkt nach der Brücke, folgt noch der landwirtschaftliche Bahnübergang. Dieser kann von Bauern genutzt werden, um zu ihren Feldern zu gelangen. Er besteht dabei je Gleisseite aus zwei großen Toren und einem Schild. Der Landwirt ruft den Controller der Bahn an, um eine Genehmigung zu bekommen. Ist kein Zug in Aussicht, darf er die Tore auf beiden Gleisseiten öffnen und den Übergang passieren. Anschließend muss er die Tore wieder beide schließen. Da es 2016 an einem solchen Übergang zu einem schweren Unfall kam, wurden zusätzlich kleine sechseckige Schilder in Warnfarbe montiert. Sind die Tore geöffnet, ist die Warntafel vom Lokführer von Weitem sichtbar und der Zug kann sicher vor einem offenen Tor angehalten werden. Die Modelltore habe ich aus Messingdraht gelötet und anschließend mit der Airbrush lackiert. Die kleinen Warnschilder samt Halter entstammen wieder meinem 3D-Drucker. Auch ein Rad mit Traktorprofil habe ich kurzerhand gedruckt, um Traktorspuren im Feldweg am Übergang nachzubilden.

Nach etwa zwei Jahren Bauzeit ist die Anlage nun fertig und fand bei der ersten Ausstellung in Mainz sehr viel Anklang. Den reinen Selbstbau vom Gleis über Anlagenzubehör bis hin zum Rollmaterial sieht man  nicht allzu häufig. Anfangs sind die meisten Besucher etwas verwirrt über die Größe der Züge im Verhältnis zum Rest. Ein kurzer Blick auf ein Originalbild erklärt das Verhältnis aber schnell und danach sind waren die Besucher alle begeistert von diesem ungewöhnlichen Modell.